Endlich ist sie da: Istanbul-Konvention

Das Inkrafttreten der Istanbul-Konvention markiert eine gesellschaftspolitische Zeitenwende in Deutschland. Was verbirgt sich dahinter?

Das Inkrafttreten der Istanbul-Konvention markiert eine gesellschaftspolitische Zeitenwende in Deutschland. Was verbirgt sich dahinter?

Im Februar 2018 ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt - besser bekannt als Istanbul-Konvention - in Deutschland in Kraft getreten. Für die Frauenrechtsbewegung setzt sie neue Maßstäbe und stellt eine gesamtgesellschaftliche Zeitenwende dar.

Mit der Ratifizierung der Konvention hat sich Deutschland als Vertragspartner dazu verpflichtet, Mädchen und Frauen umfassend vor Gewalt zu schützen. 37 Jahre nach dem Inkrafttreten des UN-Übereinkommens CEDAW zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau wurde mit diesem neuen Übereinkommen des Europarates klar formuliert: fehlende Gleichstellung von Frauen und Männern führt zu geschlechtsspezifischer Gewalt.

Dass eine staatliche Verpflichtung zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen dringend notwendig war, beweisen die aktuellen Zahlen: Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) wurden im Jahr 2017 bundesweit 113.965 Fälle von häuslicher Gewalt gegen Frauen polizeibekannt. 141 Frauen wurden im gleichen Jahr durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet. Im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind Betroffene in allen erhobenen Bereichen (Vergewaltigung, Nötigung, Belästigung etc.) zu mindestens 90 % weiblich. Im Fall von Kindesmissbrauch richteten sich rund 75 % der Straftaten gegen Mädchen. Das sind weitaus mehr Betroffene, als das derzeitige Unterstützungssystem versorgen kann. Es mangelt vielerorts an Frauenhausplätzen und Fachkräften in Prävention und Beratung.

Auf anderer Ebene bleibt die konsequente Anwendung von Opferschutzmaßnahmen in vielen Fällen noch aus, wie sich in der Betrachtung der Einzelfälle in der Praxis herausstellt. Ein Beispiel: die Strafprozessordnung gibt vor, die Persönlichkeitsrechte gewaltbetroffener Personen im Gerichtssaal zu schützen (Zeug*innenschutzzimmer, Psychosoziale Prozessbegleitung etc.). In ihrer Auslegung und Anwendung bestehen allerdings so große Ermessensspielräume, dass sie für Unsicherheit sorgen und derzeit viele Frauen daran hindern, erlittene Gewalt zur Anzeige zu bringen bzw. Strafverfahren über mehrere Instanzen durchzustehen.

Die Istanbul-Konvention lässt diese Diskrepanz zwischen den gesetzlichen Möglichkeiten in der Theorie und unzureichender Anwendung im Opferschutz in der Praxis nicht gelten. Sie schreibt nicht nur vor, alle Institutionen bedarfsgerecht auszustatten und Gesetze zu erlassen, um Frauen vor Gewalt zu schützen, sondern verpflichtet die Vertragsstaaten ebenso dazu, alle erforderlichen politischen und sonstigen Maßnahmen zu ergreifen, um Gewalt zu verhindern, vor weiteren Gewalttaten zu schützen und Gewaltausübung zu sanktionieren. Damit fordert sie Dialog und Handlung an denjenigen Stellen ein, an denen Gewalt - allen bisherigen Bemühungen zum Trotz - verübt, akzeptiert und nicht ausreichend sanktioniert wird. Die Konvention verpflichtet uns dazu, vorhandene Schutzlücken nicht nur auf dem Papier zu schließen. Sie bietet den Anlass, sich jetzt intensiv darüber auszutauschen, wie Gewaltschutz deutlich wirksamer gestaltet werden kann. Hier sind die staatlichen Institutionen auf das Fach- und Erfahrungswissen der NGOs angewiesen, die die Ursachen für Gewalt und die Perspektive der Betroffenen am besten kennen. Ihre Expertise ist in alle Planungen und Maßnahmen einzubeziehen.

Wir sagen:
Mit der Umsetzung der Istanbul-Konvention haben wir jetzt die Chance, Gewalt gegen Frauen und Mädchen in die Geschichtsbücher zu verbannen. Packen wir es an.

Weitere Informationen

Istanbul-Konvention

Analyse des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR)

Forderungen des Deutschen Juristinnen Bund (DJB)

Kriminalstatistische Auswertung Partnerschaftsgewalt 2017