Ein Verstoß gegen die Konvention an sich: Deutsche Vorbehalte

Die Istanbul-Konvention möchte alle Frauen vor Gewalt schützen. Gegen zwei Artikel zum Schutz von Frauen mit Flucht- und Migrationshintergrund hat Deutschland Vorbehalte geltend gemacht. Ein Widerspruch in sich?

Die Istanbul-Konvention möchte alle Frauen vor Gewalt schützen. Gegen zwei Artikel zum Schutz von Frauen mit Flucht- und Migrationshintergrund hat Deutschland Vorbehalte geltend gemacht. Ein Widerspruch in sich?

Die Istanbul-Konvention gilt uneingeschränkt für alle Mädchen und Frauen, unabhängig von Aufenthaltsstatus, Herkunft oder Nationalität. In vielen Artikeln und Anmerkungen werden z. B. nicht deutschsprachige Frauen immer wieder erwähnt und ihre besondere Schutzbedürftigkeit betont, beispielsweise, wenn es um Zugang zu Informationen über das Hilfesystem und die Inanspruchnahme von Hilfe geht. Im eigens erarbeiteten Kapitel Migration und Asyl weist die Konvention zudem gesondert darauf hin, dass alle Verfahren von der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten bis hin zum Asylverfahren geschlechtersensibel gestaltet werden müssen (Istanbul-Konvention, Artikel 60, 3). Was das konkret bedeutet, wird im erläuternden Bericht erklärt (z. B. erläuternder Bericht zur Istanbul-Konvention, Anmerkung 314).

Gesagt werden muss aber auch, dass Deutschland die aktuelle Gültigkeit der Konvention an zwei Stellen einschränkt: 59,2 und 59,3. Was hat es damit auf sich?

Vorbehalt heißt, dass diese Absätze zunächst nicht in Kraft treten. Die Vorbehalte gelten zunächst für fünf Jahre. Dann müssen sie erneut ausgesprochen und ihr Fortbestand begründet werden.

Der Artikel 59 dreht sich um den Aufenthaltsstatus gewaltbetroffener Frauen. Die Intention des Artikels ist es, „zu gewährleisten, dass das Risiko, den Aufenthaltsstatus zu verlieren, für diejenigen Opfer kein Hindernis darstellt, die sich zur Beendigung einer von Missbrauch und Gewalt geprägten Ehe oder Partnerschaft entschließen.“ (erläuternder Bericht zur Istanbul-Konvention, Anmerkung 302)

Der Absatz 59, 1 regelt konkret, dass keine Frau aufgrund von Angst vor Abschiebung in einer von Gewalt geprägten Beziehung verbleiben muss, sondern einen eigenen Aufenthaltstitel erhält. Hiergegen wurden keine Vorbehalte angemeldet.

Die Intention des Absatzes 59,2 ist es, dass von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen nicht abgeschoben werden, sollte es zur Abschiebung des Ehemanns kommen, sondern einen eigenen Aufenthaltstitel beantragen können. Gegen diesen Absatz hat die Bundesregierung einen Vorbehalt angemeldet. Dieser wird damit begründet, dass der Schutz vor Abschiebung im Trennungsfall bereits im deutschen Recht (§ 31 (2) AufenthG) verankert sei mit dem einzigen Unterschied, dass das deutsche Recht einen Aufenthalt aus familiären und die Konvention einen Aufenthalt als humanitären Gründen vorsehe.

Der Artikel sei also grundsätzlich bereits im deutschen Recht verankert, aber es bestünden Unklarheiten bezüglich der genauen Anwendung auf das deutsche Rechtssystem.

Die Intention des Absatzes 59,3 ist es, gewaltbetroffenen Frauen aufgrund ihrer persönlichen Situation und Schutzbedürftigkeit oder zum Zweck der Strafverfolgung der Täter in Deutschland einen verlängerbaren Aufenthaltstitel zu erteilen. Gegen diesen Artikel hat die Bundesregierung ebenfalls einen Vorbehalt angemeldet, der damit begründet wird, dass laut Aufenthaltsgesetz bereits die Möglichkeit einer Duldung für diesen Personenkreis bestünde (§60 (2) AufenthG) und damit keine Notwendigkeit bestünde, den Artikel zu ratifizieren.

Diese Vorbehalte werfen die Frage auf, warum die einzigen nicht ratifizierten Absätze der gesamten Konvention im Kapitel Migration und Asyl zu finden sind. Die Beantwortung kann nicht zufriedenstellend ausfallen: Die Vorbehalte zeugen von einer restriktiven und diskriminierenden Haltung der Bundesregierung und stellen unserer Ansicht nach einen Verstoß gegen die Konvention als solche dar. Die vollständige Ratifizierung des Artikels 59 würde eine Stärkung der Rechte der Frauen bedeuten.

Viele NGOs fordern die Regierung auf, eine Rücknahme der Vorbehalte auf Bundesebene zu erwirken (z. B. bff, Bundesfrauenrat, DaMigra, FHK, KOK, ZIF, etc.).

Auch wir appellieren: Die Vorbehalte müssen zurückgenommen werden!

Weitere Informationen

Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland zur Istanbul-Konvention