Ab jetzt ist der Mangel wissenschaftlich dokumentiert!

Die Bedarfsanalyse bestätigt: Nicht alle gewaltbetroffenen Frauen finden in Schleswig-Holstein Schutz und Hilfe. Die Istanbul-Konvention ist noch nicht umgesetzt. Zeit, dass dieser Feststellung ambitionierte Haushaltsbeschlüsse folgen.

Die Bedarfsanalyse bestätigt: Nicht alle gewaltbetroffenen Frauen finden in Schleswig-Holstein Schutz und Hilfe. Die Istanbul-Konvention ist noch nicht umgesetzt. Zeit, dass dieser Feststellung ambitionierte Haushaltsbeschlüsse folgen.

Mit Spannung wurde sie erwartet, jetzt ist sie da: Die vom Gleichstellungsministerium beauftragte Bedarfsanalyse des Hilfe- und Präventionssystems gegen Gewalt an Frauen. Anfang Februar wurden die Ergebnisse den Frauenfacheinrichtungen, Gleichstellungsbeauftragten, frauenpolitischen Sprecherinnen der Landtagsfraktionen sowie Vertreter*innen der Kommunen präsentiert.

Die Wissenschaftler*innen vom Institut „Zoom - Gesellschaft für prospektive Entwicklungen e.V.“ bescheinigen dem Land zwar, bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention auf einem guten Weg zu sein, sprechen aber gleichzeitig eine deutliche Sprache, was die Mängel angeht: Es werden in den kommenden Jahren wesentlich mehr Ressourcen benötigt.

Dringlicher Handlungsbedarf besteht der Analyse zufolge beim Ausbau der Frauenhausplätze. Deren Auslastungsquote ist so hoch, dass Frauenhäuser in akuten Gefährdungssituationen oft keinen sofortigen Schutz bieten können. Um den vom Landesrechnungshof vorgesehenen Maximalwert der Auslastung von 85 % zu unterschreiten, bedürfe es Modellrechnungen zufolge rund 100 zusätzlicher Plätze. Zudem gäbe es zu wenige Plätze für Frauen mit Söhnen über 14 Jahren, wohnungslose und Suchtmittel konsumierende Frauen sowie Frauen mit psychiatrischen Erkrankungen. Ludmila Sitnikowa von der LAG Autonomer Frauenhäuser sagt:

„Dass der Bedarf nach wie vor hoch ist, erleben wir jeden Tag vor Ort. Viele Frauen und ihre Kinder können an manchen Tagen weder Schutz noch ausreichend Unterstützung bekommen, da alle Einrichtungen voll belegt sind. Landesweit werden mehr als doppelt so viele Frauenhausplätze benötigt wie sie derzeit vorhanden sind.“

Auch die Frauenberatungsstellen brauchen der Analyse zufolge deutlich mehr Ressourcen, um ihre Basisarbeit sicherzustellen. Vor allem in Kreisgebieten sei häufig keine Flächenabdeckung möglich. Beratungstermine könnten nicht in ausreichendem Maß angeboten werden. Zudem bräuchten die Beraterinnen weitere spezifische Kompetenzen und zeitliche Ressourcen für die Arbeit mit bislang kaum erreichten Zielgruppen. Dazu zählen pflegebedürftige Frauen und Frauen mit Sinnesbeeinträchtigungen.

Als vorbildlich wird in der Analyse die Finanzierungsregelung der Facheinrichtungen über das Finanzausgleichsgesetz zwischen Land und Kommunen hervorgehoben. Diese ermögliche, dass die Einrichtungen einzelfallunabhängig arbeiten können und ihre Leistungen nicht den Frauen selbst in Rechnung stellen müssen. Für die Beratungsstellen gilt jedoch im Gegensatz zu den Frauenhäusern nach wie vor: Die Kommunen müssen einen großen Teil mitfinanzieren. Die Analyse kritisiert die damit einhergehende Planungsunsicherheit und den hohen Akquiseaufwand bei bis zu 27 verschiedenen Förderkommunen pro Beratungsstelle. Katharina Wulf vom Landesverband der Frauenberatungsstellen hierzu:

„Seit Inkrafttreten der Istanbul-Konvention ist die Versorgung betroffener Frauen keine freiwillige Leistung mehr. Dass sich die Kolleginnen noch heute bei bis zu 27 Kommunen jährlich präsentieren und ihre Arbeit bewerben müssen, entspricht nicht einem Land, das sich Gewaltschutz als Qualitätsmerkmal auf die Fahne schreibt. Die Einrichtungen brauchen mehr Sicherheit.“

Bestärkt wird die Landesregierung in der Analyse in ihrer Entscheidung, neben der konkreten Arbeit mit Betroffenen auch in Struktur und Information zu investieren. Lobend erwähnt wurden in diesem Zusammenhang die Vernetzung in den KIK-Netzwerken gegen häusliche Gewalt, das Budget für Dolmetscher*innendienstleistungen, die Vernetzung mit Geflüchteteneinrichtungen und das SCHIFF-Projekt zur Istanbul-Konvention.

Wie geht es jetzt weiter? Land und Kommunen haben eine Erhöhung des Budgets für Frauenfacheinrichtungen bereits vor Beendigung der Bedarfsanalyse verhandelt. Fest steht: Die bisher nur vorübergehend beschlossenen 30 Sofortplätze werden abgesichert. Auch für die Arbeit in den Beratungsstellen und die KIK-Netzwerke sollen weitere Mittel zur Verfügung gestellt werden. Wie sich die Erhöhung genau verteilt, ist Stand heute noch unklar. Klar aber ist: Es wird auch dieses Jahr noch nicht reichen, die nun wissenschaftlich belegten Mängel zu beheben. Katharina Wulf:

„Wie ernst es der Landesregierung mit der Verhütung und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt ist, wird sich auch in den kommenden Haushalten deutlich zeigen müssen. Die angekündigten 7,5 Millionen Euro sind bei weitem nicht ausreichend für eine bedarfsgerechte Versorgung im Sinne der Istanbul-Konvention.“

Die Frauenfacheinrichtungen und KIK-Netzwerke haben die Bedarfserhebung maßgeblich mit Daten, Informationen und Expertise unterstützt. Sie begrüßen die Deutlichkeit, mit der die Bedarfsanalyse Mängel im Unterstützungssystem benennt.

Sie möchten mit uns in den Austausch über die Bedarfsanalyse kommen? Gern! Schreiben Sie uns unter info@lfsh.de

Die gesamte Analyse sowie eine Zusammenfassung finden Sie hier.